Raabe schreibt den Stil der heute unmodern gewordenen Leute, die
warten können und Zeit haben.
Gelassenheit ist ein Lieblingswort Raabes und kennzeichnet seinen Stil. Was Ewald Sixtus an Just als die Gabe, alles ruhig abzumachen, bezeichnet (Alte Nester), das war auch dem Erzähler Raabe zu eigen. Und noch ein anderes Wort bezeichnet seine Erzählungsart; Just Everstein spricht mit Fritz Langreuter über den Briefwechsel, den er mit Jule Grote aus Amerika führte, und sagt dabei:
Gelassenheit ist ein Lieblingswort Raabes und kennzeichnet seinen Stil. Was Ewald Sixtus an Just als die Gabe, alles ruhig abzumachen, bezeichnet (Alte Nester), das war auch dem Erzähler Raabe zu eigen. Und noch ein anderes Wort bezeichnet seine Erzählungsart; Just Everstein spricht mit Fritz Langreuter über den Briefwechsel, den er mit Jule Grote aus Amerika führte, und sagt dabei:
„So kurzweg
erzählen läßt sich dies nicht; das ist wie mit allem Schönsten,
Liebsten und Großartigsten in der Welt“ (Alte Nester).
So kurzweg nicht –
das ist Raabesche Stileigentümlichkeit; eben aus der Gelassenheit
seines Gemütes heraus und dann, wenn es sich gerade um das Schönste,
Liebste und Grossartigste handelt, aus einer gewissen scheuen
Keuschheit heraus, die um das Tiefste, was sie zu sagen hat, erst ein
Weilchen herumredet und es dann gewissermaßen so nebenbei mit
einfließen läßt. Trotz der Gelassenheit ist nun aber sein Stil
nicht glatt und gleichmäßig. Von einem „Redefluß“ kann man bei
ihm nicht sprechen. Man möchte seine Sprechweise Holzschnittstil
nennen, mit Knorren und Kanten und fein gefaserten Stellen, auch
solchen, die rein und eben sind. Eine Ausgeglichenheit wird nicht
erreicht, weil eine überreiche Phantasie und tiefgehende
Gefühlsbewegung, ferner auch sehr ausgedehnte und verzweigte
Gedankengänge nur zu oft den ruhigen Erzählungsgang unterbrechen.
„Die Wichtigkeit
unserer Aufgabe erfordert die unerbittlichste Strenge gegen unsere
Phantasie und unsern Enthusiasmus. Wir bezähmen unsern keuchenden,
zitternden Eifer und erzählen ruhig und der Reihe nach“,
heißt es im
Christoph Pechlin. Aber gerade aus solchen Äußerungen geht auch noch
eine andere Eigentümlichkeit hervor, nämlich die, daß Raabe seine
seelischen Vorgänge beim Erzählen bewacht und ordnet und vor allem
beides dann auch ausspricht, mit sich selber gewissermaßen darüber
redet. Er war eben nicht nur von „Gefühl“, sondern sehr stark
vom Denken und Grübeln durchsetzt. Er ringt mit seinen Gefühlen und
Stimmungen, damit das Denken sie bewältige und aus sich
herausstellen kann. So entstehen seine Sentenzen und Reflexionen, so
kommt seine Spruchweisheit zustande, die nicht zum wenigsten den Reiz
seiner Prosa ausmacht. Bei dieser Ausprägung und diesem Ausfeilen
der Gedanken geht aber nur sehr selten die plastische Anschaulichkeit
verloren. Davor bewahrte diesen Dichter-Denker seine starke
malerisch-zeichnerische Veranlagung und Begabung.
„Aber die
Fähigkeit habe ich doch, im Komischen wie im Tragischen das momentan
Gegenständliche, wenn du willst, das Malerische, das Theatralische,
jedesmal mit vollem Genuß und in voller Geistesklarheit objektiv
aufzufassen“,
sagt Velten Andres
von sich (Akten) und wir sehen in diesen Worten die beste
Kennzeichnung Raabescher Stilgebung.
…
Die Wirkungen, die Raabe mit
seinem Stil zu erreichen beabsichtigt, faßt Sträter dahin zusammen:
„So sehr es dem
Dichter um unsern Anteil zu tun ist, so sorgfältig weiß er es zu
vermeiden, daß unser Mitgefühl den Siedepunkt erreicht. Sein Ziel
ist unsere warme, aber gelassene Anteilnahme.“
…
Nüchterner Buchumschlag. |
Nicht FREI VON etwas sein,
sondern mit heiterem Lächeln FREI zwischen allem Hemmenden
DURCHgehen. Besonders den Verstümmelten und Unglücklichen hilft
Raabe. Dem Einzelnen um des ganzen Volkes willen.
Dr. Margarete
Bönneken.
Die Akten des
Vogelsang.
Beiträge zur deutschen Literaturwissenschaft.
Beiträge zur deutschen Literaturwissenschaft.
Herausgegeber: Dr. Ernst Elster. 1926, Marburg.
N.G. Elwert'sche Verlagsbuchhandlung.
N.G. Elwert'sche Verlagsbuchhandlung.
Der Lyriker Wilhelm Raabe darf nicht mit den ästhetischen
Forderungen der Gegenwart betrachtet werden.
Es ist stets im Auge zu
behalten, dass seine Gedichte zum großen Teil einer vergangenen
Geistesphase des deutschen Volkes, den fünfziger und sechziger
Jahren des vorigen Säkulums angehören. Und es ist auch zu beachten,
dass Raabe seine „Reime“, wie er die Gedichte nannte, nie mit der
Feile bearbeitet hat. Dadurch fehlt bisweilen die letzte Form und
Reife, dadurch haben wir vielfach etwas Altmodisches und
überholtes.
Aber stets ist auch fühlbar: unlebendig sind diese
Verse nicht geworden. Es steckt noch der ganze Reichtum und Zauber
ursprünglichen Erlebens in ihnen. Sie sind noch erschaudernd voll
des menschlich-allzumenschlichen Leidens. Und sie ergreifen und
zwingen in ihren Bann, weil sie das Herzblut eines Mannes und
Dichters zeigen, wie er selbst es uns nie hat enthüllen wollen.
Ehrfurcht ist das Empfinden, das uns vor vielen Gedichten ankommt,
jene Ehrfurcht, die Verständnis bedeutet und nicht darum hadert,
dass die Reflexion das Gefühl verdrängte, dass der Vers dem
Aphorismus wich und der Reim der Prosa.
Wilhelm
Raabes Lyrik offenbart in aller Schlichtheit und mit den romantischen
Zutaten seiner Zeit, beeinflusst durch den Stil der damaligen
Gegenwartsdichtung seine ureigenste Natur: sie ist aufgebaut auf
einer ungeheuren Sensibilität, auf einer zarten, leicht
verletzlichen Seelenhaftigkeit, der das reale Leben bald zum Leiden
werden musste, und sie ist begabt mit einem steten Ringen nach
Klarheit in der chaotischen Gedankenwelt. Raabe ist nur selten der
Dichter eines Gefühlszustandes, er wird fast überall zum
Weltanschauungslyriker, er saugt aus jedem Erleben ein gefühlsmäßiges
oder gedankliches Ergebnis, das er klar manifestiert.
Titelseite des Buches |
Dr. Hanns Martin Elster.
Deutsche Dichterhandschriften. 1920.
Lehmansche Verlagsbuchhandlung (Lehman&Schulze) Dresden.
Nach
einer ersten Schaffensperiode erstrebte der Dichter, dessen geistige
Wurzeln in den deutschen Idealismus und die Romantik zurückreichten,
immer mehr eine illusionslose, realistische Auffassungs- und
Darstellungsweise. Die pessimistischen und satirischen Akzente, die
er zeitweise setzte, wurden dann allmählich gemildert und abgelöst
durch einen lächelnden, überwindenden Humor. Sonderlinge und ihre
Absonderlichkeiten liebte er schon immer.
Buchansicht |
Als
Raabe 70 Jahre alt war, bekannte ein zeitgenössischer
Schriftsteller, in jeder Stunde, die er mit Raabes Werken verbrachte,
habe er »an echter und reiner Menschlichkeit gewonnen«.
Viele
Romane Raabes zeigen Eigenschaften, die man als künstlerische Mängel
bezeichnen kann: sie sind weitschweifig‚ mit literarischen und
geschichtlichen Hinweisen befrachtet, die verschiedensten Personen,
so lebendig sie gestaltet sind, gleichen sich in ihrer
Redefreudigkeit und barocken Redeweise, sodass ein Kritiker 1883
schreiben konnte, Raabe sei »unser größter Humorist gegenwärtig,
aber ein schlechter Epiker«. Er fuhr dann aber fort: »Jedes Buch
von ihm ist der treuherzige, warme Gruß eines alten Freundes.« Der
Dichter selbst, politisch liberal—konservativ, schrieb zwei Jahre
vor seinem Tod an die ihm gewogene revolutionäre Politikerin Clara
Zetkin: dass er »weniger ein ästhetischer Autor als ein guter
Freund, Berater und Tröster der mühselig Beladenen aller Stände
gewesen«, sei ihm »die Hauptsache«.
Ausgewählte Kostbarkeiten. 1983.
SKV-Edition Lahr (Schwarzwald).
Ende.