Freitag, 14. Februar 2020

Von jedem Buch auf dieser Welt ein Exemplar


Der Büchersammler zwischen Wissensdurst und Buchmeterhunger.


Wahn, Eitelkeit, Halbbildung. Der Vorwurf an den Büchernarren ist einfach: Er hat Unmengen an Büchern, aber er liest sie nicht und versteht sie nicht. Wer Bücher sammelt, wehrt sich auch 500 Jahre später gegen dieselben Vorurteile und Vorwürfe.

Haben Sie die alle gelesen?“

Es ist die häufigste Frage, wenn Besucher meiner Bibliothek die Regale bestaunen, in denen die Bücher in der Regel zwei-, im besten Fall dreireihig stehen. Natürlich habe ich von den 35.000 Büchern nicht alle gelesen — aber wie vertreibt man die Kälte, die sich kurz über das Gespräch gelegt hat, weil der Fragende meist just selbst bemerkt hat, wie — mit Verlaub — tumb seine Frage war. In den ersten Jahren antwortete ich noch mit „Die meisten zweimal“‚ und das Eis war gebrochen. Als sich aber einmal ein Gast anschickte, mir diese dreiste Flunkerei zu glauben, gab ich auf. Jetzt antworte ich im Brustton der Überzeugung: „Ich habe sie alle geschrieben.“

Bildungsbürgerlich verankert

Die Frage kenne nicht nur ich; jeder Büchersammler muss Ähnliches beantworten. Wer beruflich mit Büchern zu tun hat, trägt ein größeres Risiko, auch privat dem Buch zu verfallen. Lektoren und andere Mitarbeiterinnen in den Verlagen, Buchhändlerinnen und Bibliothekare. Lehrkräfte an Schulen und Hochschulen, vielleicht Politiker und Journalisten. Es ist mit Ausnahmen schon eine recht bildungsbürgerliche Gesellschaft, die ihre Freizeit damit verbringt, Bücher aufzuspüren und der eigenen Bibliothek einzuverleiben; nicht ohne vorher die Neuzugänge angesehen und zugeordnet zu haben. Die meisten würden von sich nicht als Büchersammler sprechen aus Angst, es könne tatsächlich jemand glauben, sie interessierten sich nur für den Gegenstand und nicht für den Inhalt. „Bibliophil“ – „Bücher liebend“ – klingt da großzügiger und gelehrter. Bücherehre klingt noch respektvoller.
Buchaffin kann man sein, eine Nähe zum Buch verspürend, sich zu Büchern und Bibliotheken hingezogen fühlen, das passt auch noch. Büchersammler nennt man sich erst, wenn man das als Arbeit am kulturellen Gedächtnis, an der Förderung von Meinungsfreiheit und Pluralismus oder mit sonst einem überzeugenden gesellschaftspolitischem Vorhaben verklären kann.
Man könnte auch pathologisch an die Leidenschaft des Büchersammelns herangehen und von Bibliomanie sprechen. Der Bibliomane nimmt alle Bücher mit, derer er habhaft werden kann, ohne sich finanziell zu ruinieren (und manchmal auch das). Es ist – zumindest beim Großteil der Büchersammler – nicht sinnentleertes Aneinanderstellen von Publikationen, um bald einen weiteren Regalmeter mit Büchern gefüllt zu haben. Der Sammler ist in der Lage, auch entfernteste Themengebiete interessant zu finden. Einer der ersten berühmten Bibliomanen ist der Engländer Sir Thomas Phillipps (1792—1872). Er bezeichnete sich selbst als biblioman und konnte im Laufe seines Lebens 60.000 Manuskripte zusammentragen.

Braunschweigs gesammelte Bücher
Es lässt sich nicht übers Büchersammeln schreiben, ohne Braunschweig gleich mehrfach
Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel in seiner Bibliothek, Braunschweig, Leonhardtstraße.
Gerd Biegel et alii.
einen Besuch abzustatten. Mit Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel regierte das Herzogtum einer der eifrigsten und begeisterten Büchersammler, den die deutsche Regentengeschichte kennt. Seine Büchersammlung bildet den Grundstock für die Herzog-August-Bibliothek, die im ln- und Ausland als eine der ältesten unversehrt erhaltenen Bibliotheken der Welt angesehen ist. Gottfried Wilhelm Leibniz hat diese Bibliothek von 1691—1716 geleitet, im gleichen Amt finden wir von 1770—1781 Gotthold Ephraim Lessing.
Der Blick braucht gar nicht weit zurückzugehen. Eine Kulturgeschichte des Büchersammelns der letzten 50 Jahre in Deutschland würde ohne zwei Namen nicht auskommen, die mit Stadt und Land Braunschweig eng verbunden sind. Und dabei stehen Paul Raabe (1927—2013) und Gerd Biegel, will man sie zwischen Bücherehre und Bibliomanie verorten, denkbar weit voneinander entfernt. Hier der Direktor der Herzog-August-Bibliothek, „als leidenschaftlicher Bibliothekar, anerkannter Forscher und Publizist sowie als erfolgreicher Kulturmanager“ mit der Leibniz-Medaille der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften für das Lebenswerk ausgezeichnet, der die Bücher schätzte und ehrte. Verfallen war er ihnen nicht, sie schienen zuweilen eine Bürde: „Allerdings habe ich durchaus auch die Schwierigkeit in meinem Leben erfahren, was es bedeutet, als Bibliothekar zu sammeln und privat noch Bücher anzuschaffen.“
Auf der anderen Seite Gerd Biegel, Gründer des Instituts für Braunschweigische Regionalgeschichte, der bei allem Alltagsgeschäft das Träumen nicht aufgegeben hat.
Seinen Traum träumen viele Büchersammler und Sir Thomas Phillipps hat den Traum im 19. Jahrhundert in Worte gekleidet: Von jedem jemals erschienenen Buch je ein Exemplar in die eigene Bibliothek stellen zu können. Dass das unmöglich ist, weiß natürlich auch Gerd Biegel. Aber so nah wie er ist noch niemand an das Luftschloss herangekommen: Mit seinen 230.000 Büchern besitzt er die größte Privatbibliothek Norddeutschlands. Die Zahl ist wohlgemerkt geschätzt. Aber Zweifler lädt der Braunschweiger Bibliomane herzlich zum Nachzählen in seine Bibliothek ein.

Dr. Ulrich Brömmling.
Germanist, Scandinavist in Braunschweig.
Ausriss aus Vier Viertel Kult, SBK
Herbst 2019

Ende.

Freitag, 7. Februar 2020

Lesemedium: digital oder analog?


Die private Reddam-House-Schule im australischen Ort Woollahra (bei Sydney) 
hat sich 2019 GEGEN den allgemeinen Trend entschieden, und wird die genutzten iPads gegenüber gedruckten Schulbüchern zurückstellen. 
Diese Entscheidung ruht auf den Erfahrungen der letzte fünf Jahre, in denen die Klassen 11 und 12 beides angeboten bekommen hatten. Die Präferenz der Schüler lag schließlich bei den Druckausgaben.

Als Vorteile wurden die bessere Orientierung im Text und die bessere Aufnahmefähigkeit der Textinhalte genannt. Im Umkehrschluss hätten die iPads mit auftauchenden Mitteilungen die Konzentration gestört und boten mehr Möglichkeiten, still und heimlich (geräuschloses und kein offensichtliches Umblättern) vom Thema abzukommen.

Inwieweit sich dieses schwarz-weiß Denken pro Schule durchsetzt, oder ob womöglich neuartige Lesemedien wie biegsame Folien mit digitalem Inhalt das Lernen in der Schule verändern, bleibt also auch zehn Jahre nach Erfindung des iPads noch offen…

ENDE.