Donnerstag, 22. April 2021

Pause

Erstmal ...

Der Anfangsbuchstabe im Stadtnamen.
E wie Eschershausen

ein ein- und innehalten.

Aus der Sammlung mit 7 Erzählungen.
Postkarte des Literaturmuseums
Braunschweig, Leonhardtstraße 29,
welches hiermit zum Besuch empfohlen wird.
Zitat aus: Drei Federn, 1865.
 

Innerhalb Raabes - auch immer noch aus heutiger Sicht - sich ringelnden Sätzen und langen Gedankengängen, die durchaus nicht zur Geschichte, sondern wohl eher zum Willi selber und seiner Zeit gehören, finden sich die der Seele so wohltuenden Oasen an lichten, warm strahlenden Sätzen, die sein Werk schließlich doch bis heute lesenswert erhalten:

"Man richtet mit einem fröhlichen Herzen doch am meisten in dieser trübseligen Welt aus."

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Freitag, 16. April 2021

Raabe und die bösen Geister.

  Auf einer der höchsten Höhen Tivolis saßen, an einige Felstrümmer gelehnt, zwei Fremde, ein Mann und eine schwarzgekleidete, tiefverschleierte Dame. Zur Linken über dem Wassersturz erhob sich jenes köstliche Kleinod der Zeit des Augustus, der Tempel der Vesta; zur Rechten flog der Blick durch die Felsschlucht über die dufterfüllte Campagna hin bis zum fernsten Horizont, wo die Kuppel der größten Kirche der Christenheit, des Doms von Sankt Peter, in der Nachmittagssonne funkelte. - Hier war es, wo die Sängerin Alida dem Doktor Hagen die Leiden ihres kleinen Lebens erzählte. - Mit Bedacht hatte sie der Doktor auf diese wundervolle Stelle geführt: Einem solchen Blick gegenüber kann sich wohl das gepreßteste Herz erweitern, die verschlossenste Brust sich öffnen! 

„Sehen Sie, Alida, wie schön, wie ruhig das in seiner Wildheit ist!“, sagte der Arzt. „O“, seufzte die Angeredete, „nennen Sie mich nicht Alida; nennen Sie mich Lida, nennen Sie mich Lida Mayer, wie ich einst hieß – einst, als ich noch nicht so - unglücklich war!“ Der Doktor entfernte sich einige Schritte, um eine aus einer Felsspalte wuchernde Distel vorsichtig abzubrechen. Dann kam er damit zurück und reichte, nachdem er mit dem Messer die Stacheln abgestreift hatte, die schöne, blutrote Blume seiner Begleiterin. „Das ist eine prächtige Blüte“, sagte er, die Künstlerin ernst ansehend. „Nicht wahr, Lida Mayer? - Da wuchern im Leben solche verräterischen Gewächse, die uns anlocken durch Farbenpracht und Duft. Alida, wir törichten Menschenkinder greifen dann darnach und verwunden uns an den tückischen Stacheln. Können Sie mir nicht sagen, Lida, was für eine Blume es war, an der Sie sich geritzt haben? . . . Lassen sich die Stacheln nicht wieder aus der Seele entfernen?“ 

Die Gefragte senkte den Kopf. „Ich bin allein in der Welt“, flüsterte sie leise. „Sie haben mich, die Unbekannte, gerettet aus der Verzweiflung der letzten, schrecklichen Tage, Sie wollen es dulden, daß ich mich wie eine Schiffbrüchige an Sie anklammere . . . ich will Ihnen alles erzählen - was ich von mir weiß. Haben Sie Geduld mit mir: ich bin wie eine Traumwandlerin, die plötzlich angerufen worden ist, . . . ich . . . Doktor . . .“ Zusammenschauernd hauchte die Künstlerin noch einige Worte, die dem Arzt, so aufmerksam er auch lauschte, doch verloren gingen. 

Böser Geist in Indonesien: Langsuyar.

„Sehen Sie, Lida“, sagte er. „Dort liegt die Campagna, die wir heute morgen durchfuhren, wie ein leeres, ödes, ausgebranntes Menschenherz. Die Adonisfeier des Lebens ist verstummt mit ihrem Jubel, ihrer Klage - Lida, Lida, ich habe Menschen gekannt, deren Inneres diesem unendlichen Trümmermeer glich - Lida, das ist ein furchtbarer Gedanke - hüten Sie sich, Lida, daß das Evan-EvoË Ihres Seins nicht in einem solchen unnennbaren Mißklang verhalle! - Sie sind stolz - Sie glauben, es sei das Mitleid, das, was die Welt Mitleid nennt, was mich zu Ihnen hinziehe : Lida, ich begreife nicht allein den gekreuzigten Menschheitsversöhner, ich begreife auch den Schächer zur Linken - was die Welt Mitleid nennt, habe ich verlernt, lange, lange verlernt! Sprechen Sie, Lida! Nicht allein jene trümmerbedachte Ferne ist Weltgeschichte: auch diese Blume, die ich Ihnen in die Hand gab, gehört dazu wie diese Worte, welche ich zu Ihnen rede, wie dieser Stein, welchen ich hier in den Abgrund stoße, wie mein Leben, wie das Ihrige! Sprechen Sie; wenn Sie es verlangen, will ich kniend lauschen!“ Während dieser Worte hatte sich Lida langsam erhoben und den Schleier zurückgeschlagen. Bleich, mit zitternden Lippen, faßte sie die Hände des Doktors. Wie eine Priesterin des Tempels über ihnen stand sie da. „Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen! Ja, ich bin wild, ich bin stolz; aber - jetzt kann ich sprechen! ...

Es geht weiter in "Ein Frühling" - Sechstes Kapitel.

- ENDE -

Donnerstag, 15. April 2021

Zeichen für Kultur – Porzellan: Rabe als Schlaumatz

Corvinus – der kleine Rabe

Diese Porzellanfigur wurde von Alexander Struck (*1902 +1990) für die staatliche Porzellanmanufaktur Meissen entworfen. Im Alter von 15 Jahren besuchte Struck die Zeichenschule, wirkte dann mehr als 50 Jahre und steht für einige Klassiker der Firma Meissen.
Der Rabe bekam den Spitznamen „Schlaumatz“, wurde in handlicher Größe von 10 cm Höhe hergestellt und war ein Publikumsliebling.

So wie Wilhelm Raabe gerne mit seinem lateinischen Namen spielte, mag dieses Rabenmodell auch für die Facetten des Dichters herhalten: Es gibt ihn in verschiedenen Haltungsmotiven: mal verschmitzt, frech, herausfordernd, hochnäsig, verspielt, listig oder mal mit Brille, mit Nuss, anstelle reinweiß auch zartfarbig angehübscht.

Welche Eigenschaften dichten Sie ihm an?

Ende.

Sonntag, 11. April 2021

Gegen Drangsal und Philistertum 1872

Innerhalb einer grotesken Liebesgeschichte,

in der Raabe einen Teil seiner achtjährigen Erfahrungen im Schwabenland verarbeitet, teilt er wieder einmal kräftig gegen das Duckmäusertum und den seit Jahrzehnten in Blüte stehenden Obrigkeitsstaat aus. 

... Sie [Miß Christabel Eddish] blätterte sich mit ganzer Seele hinein, und das war kein Wunder! Wer würde ein von einem Gespenst zwischen Tür und Angel auf der Flucht verlorenes Reisehandbuch mit geisterhaften Randglossen aus der Nachtseite der Natur heraus nicht mit zitternder, atemloser, atemanhaltender Spannung durchblättern? 

Leider wahrscheinlich sehr viele unserer braven Landsgenossen! Drei Viertel der deutschen Nation würden unbedingt ihren Fund getreulich der Polizei überliefern und es ruhig abwarten, wie diese darüber verfügen werde. Gewissermaßen können wir diese drei Viertel unseres Volkes auch nur darum loben; denn nicht alles, was ein Geist verliert, paßt in das intellektuelle Verständnis des Finders und ist noch weniger geeignet, im allgemeinen Bewußtsein sich zu verbreiten. Das wäre freilich etwas Schönes — und ein ärgerlich Ding für Staat und Kirche, wenn ein jeglicher das, was die Geister auf ihren Wegen bei Tag und Nacht verlieren oder gar von sich werfen und um sich umherstreuen, sich aneignen und ohne Bewilligung höhern Ortes ruhig behalten dürfte! Malen wir uns dieses ja nicht weiter aus, sondern halten wir uns ruhig an die althergebrachte und durch die Jahrtausende erprobte Weisheit unserer Konsistorien, medizinischen und juristischen Oberkollegien, Hoftheaterintendanturen, akademischen Senate und so weiter! 

Nüchterne Erkenntnis von Martin Luther.
Zitat: Martin Luther

… und schleuderte das Buch mit unbeschreiblicher Energie hinaus aus dem Wagenfenster, weit hinaus auf den Karlsplatz und einem den Platz gerade überschreitenden, an nichts denkenden deutschen Poeten und Ritter des Maximiliansordens gerade vor den Magen. Der Chevalier, fast zu Boden gestreckt durch den vollkräftigen Wurf, drehte sich dreimal, den Dichter in sich natürlich mit sich herumreißend, um seine eigene Achse, griff mit beiden Händen nach dem Leibe und starrte — starrte — starrte, bis es zu spät war, die Droschke einzuholen und um Aufklärung zu bitten. 

… Noch zehn Minuten nachher stand er denn auch, und zwar nicht in der Stellung, in welcher er dermaleinst in Erz gegossen zu werden wünschte, und blickte das rote Buch zu seinen Füßen scheu zögernd an. Zuletzt wagte er es, das Ding aufzuheben; aber er ging sehr vorsichtig dabei zu Werke — fast ebenso vorsichtig wie vorhin Miß Christabel Eddish am Sockel der Bavaria. Ob er es der Polizei ablieferte oder es mit sich nach Hause nahm, können wir nicht sagen, sind jedoch nach unsern vorhin eingeschobenen Bemerkungen über gefundene Sachen innigst überzeugt, daß er es ablieferte und es erst dann poetisch verwertete, wenn es ihm durch sämtliche im Laufe der Zeit historisch-politisch gewordenen staatlichen und kirchlichen Behörden dintenflüssig gemacht worden war. 

Aus: Christoph Pechlin. 

Das achte Kapitel.

Ende.

Donnerstag, 8. April 2021

Welche Göttin ist die Flüchtigste?

 Die Antwort Raabes darauf

ist eine originelle, vergleichend wertende:

„Wenn die Selbstüberwindung das Höchste ist, was der Mensch in ethischer Beziehung erreichen kann, so ist die Gelassenheit, die absolute Gelassenheit, eine sehr hohe Stufe der Leiter, von welcher der Mensch auf das Weltgewirr hinabsieht.“

Uralt - göttlich - weiblich.
Göttin Epona.
Wikimedia. Owen Cook.

„Die mächtige Göttin Gelassenheit entfaltete ihre Flügel und entfloh. Sie, die flüchtigste aller Göttinnen – flüchtiger selbst als das Glück, die Jugend und die Schönheit –, zeigte sich auch als die undankbarste. Sie entschwand, ohne die geringste Rücksicht auf die vielen angenehmen Leidenschaften zu nehmen, welche ich ihr mühselig zum Opfer gebracht hatte!“

Drei Federn.

Ende.

Donnerstag, 1. April 2021

Zeichen für Kultur – Porzellan: Rabe auf Raabe

Corvus – der Rabe.


Wilhelm Raabe selbst hat sich anfangs mit Pseudonym Jacob Corvinus = kleiner Rabe bezeichnet. Dieses Wortspiel lag ja nahe und es mag ihn immer wieder gefreut haben, diese Spiellust mit Namen in seinen Romanen auszuleben, wobei über die Zeit drollige und tiefsinnige Kreaturen herausgekommen sind.

Zu den Höhepunkten der 175 Jahrfeier im Jahr 2006 erdacht, wurde bereits zum Weihnachtsgeschäft 2005 eine den Schriftsteller großartig treffende Skulptur aus Porzellan erzeugt. Es ist ein Rabe, feststehend auf einem dicken Buch. Womöglich war der Gedanke, das Buch des Lebens Raabes oder eben den Schriftstellergedanken zu visualisieren – auf jeden Fall ist es eine super Idee des Porzellangestalters.
Ein Rabe auf Raabes Werk - ein schönes Porzellanmotiv.
Ein Rabe auf Raabes Werk. ML 2020.

Neben dem normalen Modell gab es das Motiv auch als Ehrengabe der Stadt Eschershausen mit zusätzlichem Schriftzug.

Der Rabe ist ja seit Hunin und Bunin ein sagenhaftes Wesen. Dieses kleine Video mit künstlerisch verfremdeter Ansicht unterstreicht sein rätselhaftes Wesen.



Ende.