Was Schulen tun können, um Lesefreude zu fördern,
und wie Texte
ausgewählt werden sollten.
Übung macht den
Meister — das gilt nicht nur für das Erreichen von
Spitzenleistungen im sportlichen oder künstlerischen Bereich. Auch
wer gute Leistungen im Lesen erzielen will, benötigt Übung und muss
gewillt sein, sich mit Literatur auseinanderzusetzen.
Wer Freude am Lesen
hat, liest auch häufiger und verfügt über mehr Lerngelegenheiten
zum Erwerb der Lesekompetenz. Lesemuffel sind häufig in einem
Teufelskreis aus Leseunlust und schwacher Lesefähigkeit gefangen.
Die Ergebnisse der aktuellen Pisa—Studie zum Leseverhalten bei
Jugendlichen in Deutschland sind daher alarmierend: Unter den 15
Jahre alten Schülern gibt etwa die Hälfte an, nicht zum Vergnügen
zu lesen; mehr als ein Drittel halten Lesen gar für eine
Zeitverschwendung.
Was ist angesichts
dieser Misere zu tun?
In der Grundschule
ist die Lesefreude bei vielen Kindern ohnehin noch hoch ausgeprägt.
Aus der Leseforschung ist allerdings bekannt, dass sich dies ab
etwa dem 11. Lebensjahr ändert und es zu einem „Leseknick“
kommt: Je älter Kinder werden, desto weniger gern lesen sie.
Forscher nehmen an, dass dies damit zusammenhängt, dass Schüler —
nicht zuletzt auch aufgrund der schulischen Notengebung — zunehmend
selbstkritischer werden, was die eigenen Fähigkeiten zum Lesen
betrifft. Aber auch der Wert des Lesens wird von älteren Schülern
geringer eingeschätzt als noch in der Grundschulzeit. Insbesondere
in der Pubertät bedarf es somit vermehrter Anstrengungen zur
Förderung der Lesemotivation. Schüler müssen sich im Umgang
mit Literatur als kompetent erleben. Vielmehr sollten insbesondere
Jugendliche häufig in Kleingruppen arbeiten, die einen intensiven
Austausch über das Gelesene ermöglichen. Noch wichtiger aber
erscheint die Auswahl der im Unterricht gelesenen Texte. Schüler,
die die im Unterricht behandelten Texte auf ihre eigene Lebens- und
Erfahrungswelt beziehen können, sind auch motivierten die schulische
Lektüre zu lesen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Lehrer
sollten demnach eine möglichst große Auswahl potenziell
interessanter Themen vergeben — wobei sich „interessant“ nicht
aus Lehrersicht definiert. So zeigte eine Studie aus dem
Grundschulbereich, dass Lehrer ihren Schülern bevorzugt lebensnahe
Texte anboten, die Schüler aber lieber Abenteuergeschichten lesen
wollten. Es ist schlicht unklar, welche Lesethemen Jugendliche
überhaupt interessieren.
Hier bleibt nur, die Schüler zu
befragen, um sicherzustellen, dass der Lesestoff als
spannend und bedeutsam empfunden wird.
Es muss
sichergestellt werden, dass die Lesemotivation in allen
Bildungsetappen den Lesefähigkeiten und Interessen der Schüler
angemessen unterstützt wird. Das beginnt bereits in den Kindergärten
und Vorschulen, wo die Sozialisation in die Schrift- und Buchkultur
gezielt vorbereitet werden kann, etwa durch Methoden des Vorlesens,
bei denen Erzieher die Kinder bewusst mit einbeziehen. Eine reine
Förderung der Lesermotivation erscheint wenig vielversprechend, wenn
nicht zeitgleich auch der Erwerb der Lesekompetenz selbst unterstützt
wird. Insbesondere schwache Leser profitieren wenig vom Versuch,
allein die Lesemotivation zu steigern. Wer Schwächen im Bereich
grundlegender sprachlicher Fähigkeiten wie etwa dem Wortschatz oder
der Zuordnung von Buchstaben zu Lauten hat, dem wird das Lesen
weiterhin schwerfallen und wenig Freude bereiten. Eine
durchgängige und systematische Sprachbildung und Vermittlung von
Fähigkeiten im Lesen und Schreiben in allen Fächern sind daher
unabdingbar. Nur wenn bereits vom Lesebeginn
an eine sorgfältige Diagnostik der sprachlichen Stärken und
Schwächen von Schülern und darauf abgestimmte Schritte folgen,
haben Kinder überhaupt die Möglichkeit, die Freude am Lesen für
sich zu entdecken.
Die Förderung von Lesemotivation,
Leseverhalten und Lesekompetenz von der frühkindlichen Bildung bis
in die Sekundarstufe sind — insbesondere für leseschwache Kinder —
als ein ganzheitlicher Prozess zu betrachten, in den die jeweiligen
pädagogischen Schritte sorgfältig aufeinander abgestimmt werden
müssen.
Von
Alexandra Marx.
Die
Autorin ist wissenschaftliche Referentin an der Deutschen
Schulakademie.
Teilweiser
Ausriss aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Dezember 2019.
Ende.