Donnerstag, 3. September 2020

Zensur 1814.


Polizeistaat und Überwachungskultur.


Wer ein Auge für diese Dinge hat, findet bei Raabes Texten immer mal wieder einen kleinen Seitenhieb auf die damalige obrigkeitliche Zensur. Diese war geboren als Antwort auf die Französische Revolution und die ähnlichen Bestrebungen gegen den Adel im deutschsprachigen Raum. Metternich war die treibende Kraft hinter dem Deutschen Bund und der geheimen Zensurbehörden. In den – nach der französischen Besatzung gerade wiedererstandenen – Braunschweigischen Landen, wurde 1814, neben allerlei ach so wichtigen Militärdingen, flugs auch gleich in der allerersten Verordnungssammlung die Zensur von Druckschriften geregelt.
Serenissimi Verordnung 28. März 1814
1. Jahrgang 1814
Besonders entlarvend ist der Einleitungsgedanke, dass eine „vernünftige“ Presse nicht beschränkt werden soll. Dann folgen in deutscher Gründlichkeit zwanzig Paragrafen zum Schutze der Ruhe im Lande und des Adels.



(51.) Serenissimi Verordnung vom 28sten März d. J., die Censur der Druckschriften betreffend.



Von Gottes Gnaden, Wir Friedrich Wilhelm, Herzog zu Braunschweig-Lüneburg, auch in Schlesien Fürst zu Oels und Bernstadt ec. ec.

fügen hiemit zu wissen:

So wenig Wir auch gemeinet sind, eine vernünftige Preßfreiheit irgend beschränken zu wollen, so lehrt doch die Erfahrung hinlänglich, daß der Mißbrauch derselben gar leicht zu unangenehmen Folgen mancher Art Gelegenheit gebe. Um daher diesen zuvorzukommen, ohne jene im wesentlichen zu beschränken, verordnen Wir hiedurch folgendes:

§. 1.
Vom Tage der Publication der gegenwärtigen Verordnung angerechnet, soll keine politische Zeitung und kein Intelligenz-Blatt in Unsern Landen gedruckt werden, wenn Wir nicht zuvor dazu Unsere Genehmigung ertheilt, und wegen der Censur derselben das Nöthige verordnet haben.

Verordnungssammlung Braunschweig S. 238
Seite 238
§. 2.
Ausgenommen hiervon sind allein,
1) die öffentlichen Anzeigen, welche hieselbst erscheinen, und
2) die Zeitung für die Landleute, welche in Wolfenbüttel herausgeben wird, da dieser Blätter halber die nöthigen Einrichtungen bereits bestehen.


§. 3.
Der Censur sind unterworfen,
1) alle Bücher und Schriften über Gegenstände der Religion und Gottesverehrung,
2) alle dergleichen, welche politischen Inhalts sind,
3) alle Romane, Gedichte und Liedersammlungen,
4) alle Kalender und Almanache,
5) alle einzelne Lieder, Gedichte, Pamphlets und Brochuren, so wie
6) alle zum öffentlichen Anschlage oder zum Vertheilen im Publico bestimmten Aussage, diese mögen schriftlich oder gedruckt bekannt werden sollen.

§. 4.
Verordnungssammlung Braunschweig S. 239
Seite 239
Alle übrigen unter der Bestimmung des vorhergehenden §phen nicht begriffenen Bücher und Schriften dürfen ohne vorgängige Censur gedruckt, und verkauft werden; für den Inhalt bleibt der Verfasser, oder wenn sich dieser nicht genannt hat, der Buchdrucker verantwortlich.
Es darf daher innerhalb Unserer Lande kein dergleichen Buch gedruckt werden, wenn nicht einer von beiden sich genannt hat, oder aber, wenn aus irgend einem Grunde beide sich nicht zu nennen wünschen, der Name und Wohnort des Verfassers oder Druckers, oder aber des Verlegers, falls dieser die Verantwortlichkeit für beide übernehmen will, Unserm Geheimen Raths-Collegio bestimmt angezeigt worden.
In Ansehung der Journale entscheidet ihr Inhalt, ob sie nach Vorstehendem der Censur zu unterwerfen sind.

§. 5.
Verordnungssammlung Braunschweig S. 240
Seite 240
Die Censur soll verwaltet werden:
1) In Ansehung der Schriften, welche die Religion und Gottesverehrung betreffen, von Unserm Consistorio zu Wolfenbüttel.
2) In Ansehung der unter den Nummern 2 – 4 des vorstehenden 3ten §phen erwähnten Schriften von, demjenigen, welchem Wir dieses Geschäft hieselbst zu übertragen Uns vorbehalten.
3) In Ansehung der unter Nro. 5 und 6 desselben §phen erwähnten Gegenstände von der ordentlichen Polizei-Obrigkeit des Ortes.

§. 6.
Im Allgemeinen haben vorerwähnte Censur-Behörden dahin zu sehen, daß keine Bücher und Schriften in Umlauf kommen, welche der dem Regenten und dessen befreundeten Mächten schuldigen Ehrerbietung, der öffentlichen Ruhe, der den verschiedenen Religionen schuldigen Achtung, oder den guten Sitten zuwider sind, oder auch bloß persönliche Verunglimpfungen der Staatsdiener oder anderer Landeseinwohner zum Zwecke haben, und vertrauen Wir zu ihnen, daß sie hiernach bei Beurtheilung der ihnen vorzulegenden Schriften mit gehöriger Ueberlegung und Gewissenhaftigkeit verfahren werden.

§. 7.
Verordnungssammlung Braunschweig S. 241
Seite 241
Wäre ein Censor zweifelhaft, ob der Abdruck eines Werkes gestattet werden könne, oder nicht, so hat er deshalb von Unserm Geheimen-Raths-Collegio sich Verhaltungsmaße zu erbitten.

§. 8.
Würde ein Censor einer Schrift die Bewilligung zum Drucke ertheilen, welche nach obstehenden Vorschriften nicht hätte genehmigt werden sollen, so bleibt zwar der Drucker, Verleger oder Schriftsteller von Verantwortlichkeit deshalb, insofern nicht etwa jemand Privatgenugthuung zu fordern berechtigt wäre, frei; Wir behalten Uns aber vor, den Censor deshalb, dem Befinden nach, zur Verantwortung zu ziehen.



Verordnungssammlung Braunschweig S.242
Seite 242
§. 9.
Alle der Censur unterworfene Schriften sind zeitig, und zwar, so viel die eigentlichen Bücher betrifft, spätestens 4 Wochen; Schriften aber, welche unter sechs gedruckte Bogen stark sind, spätestens 14 Tage vor der zum Abdrucke bestimmten Zeit an die Censur-Behörde einzusenden.
Sie müssen deutlich und feierlich und ohne viele Abänderungen geschrieben, auch paginirt seyn. Werden die Manuscripte diesem nicht gemäß befunden, so sind selbige zur Anfertigung einer reinlichen Abschrift zurückzugeben.

§. 10.
Die Censur-Behörde hat selbige binnen vorstehender Frist durchzusehen, und falls sie nichts dagegen zu erinnern findet, auf dem Titelbogen mit dem Imprimatur zu versehen, und dabei zu bemerken, aus wie vielen geschriebenen Seiten das Manuscript bestanden habe. Auch ist, um alle nachherige Verwechselungen der Blätter zu vermeiden, jedes Blatt mit der Namenschifre des Censors zu versehen.
Finden sich einzelne Abänderungen im Manuskripte, so hat der Censor auch diese, zum Beweise, daß er sie gesehen, am Rande mit seiner Chifre zu bezeichnen.

§. 11.
Verordnungssammlung Braunschweig S. 243
Seite 243
Findet der Censor die Schrift an sich zulässig, jedoch daß darin einzelne Ausdrücke oder Sätze einer Abänderung bedürfen, so hat er diese dem Verfasser bemerkIich zu machen, und erst nach erfolgter Abänderung, welche, wie vorsteht, vom Censor zu bezeichnen ist, die Erlaubniß zum Drucke zu ertheilen. Würden der Schriftsteller oder Drucker sich die vom Censor verlangten Abänderungen nicht gefallen lassen wollen, oder auch sich durch die versagte Erlaubniß zum Drucke einer Schrift beschwert erachten, so bleibt ihnen eine Vorstellung dagegen bei Unserm Geheime-Raths-Collegio offen, bei dessen Entscheidung aber hat es sein endliches Verbleiben.

§. 12.
Die Manuskripte der censirten Bücher sind nach dem Abdrucke zu etwaniger Vergleichung an die Polizei-Behörde des Wohnorts des Druckers oder Schriftstellers abzugeben, und von dieser aufzubewahren.

§. 13.
Den Censurbehörden soll für Ihre Bemühung die schon früher bestimmt gewesene Gebühr von 2 Ggr. für den gedruckten Bogen von dem Drucker oder Verfasser entrichtet werden.

§. 14.
Alle nach §. 5. der Censur der Polizeibehörde unterliegende Gegenstände müssen, ehe sie zum Drucke, oder falls sie etwa schon gedruckt eingebracht worden, ehe sie zum Verkauf oder zu einer sonstigen Distribution gebracht werden, selbiger Behörde vorgelegt werden, um nach Anleitung des §. 6. zu ermäßigen, ob der Abdruck oder die Distribution zu gestatten sey. Die hier schriftlich, jedoch unentgeldlich, zu ertheilende Erlaubniß hat dieselbe Wirkung, als das Imprimatur des Censors. Ist eine solche Erlaubniß zum Verkaufe oder sonstigen Distribution schon von der hiesigen Polizei-Direktion oder einer andern Polizei-Behörde in Unsern Landen ertheilt worden, so ist solche vorzuzeigen, und von der Polizei-Behörde des Ortes, wo der fernere Vertrieb stattfinden soll zu visiren.

§. 15.
Verordnungssammlung Braunschweig S. 244
Seite 244
Derjenige Drucker oder Schriftsteller, welcher vorstehenden Vorschriften zuwider-, Bücher oder Schriften welche der Censur unterworfen sind, ohne vorgängig das Imprimatur erwirkt zu haben, drucken oder auch das gebilligte Manuscript nicht an die Polizei-Behörde zur Aufbewahrung abgeben, so wie ein jeder, welcher Gegenstände, die der Censur der Polizei-Behörde unterworfen sind, ohne deren Erlaubniß verkaufen oder sonst im Umlauf bringen würde, verfällt in eine Strafe von 25 bis 100 Rthlr.; härtere Strafen, wenn der Fall deren erheischen sollte, so wie der Privatgenugthuung gegen beleidigte Personen vorbehältlich.





§. 16.
Verordnungssammlung Braunschweig S. 245
Seite 245
Den vorstehenden Verfügungen zuwider, zum Druck oder sonst ins Publikum gebrachte Schriften können dem Befinden nach confiscirt werden.

§. 17.
Derjenige Censor, welcher die ihm vorgelegten Schriften nicht binnen der §. 10. vorgeschriebenen Frist befördern würde, bleibt dem Verleger oder Schriftsteller für den daraus erwachsenden Schaden verantwortlich.

§. 18.
Die Bücher-Katalogen bleiben einstweilen von der Censur befreiet. Würden sich aber darin Bücher finden, deren Verkauf von Uns verboten worden, oder aber welche zu denen gehören, deren im §. 6. erwähnet worden, so haben die mit der Haltung der Auctionen beauftragten Personen deren Verkauf nicht zuzulassen, sondern vielmehr die sich vorfindenden Exemplare an die Polizei-Behörde des Ortes abzuliefern.

§. 19.
Ein jedes etwa zu erlassendes Bücherverbot soll, gleich andern Gesetzen zur Nachricht und Nachachtung öffentlich bekannt gemacht werden.

§. 20.
Sämmtliche Unsere Unterthanen, und insbesondere sämmtliche Obrigkeiten und Censoren, haben sich hiernach gebührend zu achten.

Verordnungssammlung Braunschweig S. 246
Seite 246
Urkundlich Unserer eigenhändigen Unterschrift und
beigedruckten Fürstl. Insiegels.
Gegeben Braunschweig, den 28sten März, 1814.

Friedrich Wilhelm,
Herzog zu Braunschweig - Lüneburg ec.

v. Schmidt-Phiseldeck.







Ende.