Polizeistaat und Überwachungskultur.
Wer ein Auge für
diese Dinge hat, findet bei Raabes Texten immer mal wieder einen
kleinen Seitenhieb auf die damalige obrigkeitliche Zensur. Diese war
geboren als Antwort auf die Französische Revolution und die
ähnlichen Bestrebungen gegen den Adel im deutschsprachigen Raum.
Metternich war die treibende Kraft hinter dem Deutschen Bund und der
geheimen Zensurbehörden. In den – nach der französischen
Besatzung gerade wiedererstandenen – Braunschweigischen Landen,
wurde 1814, neben allerlei ach so wichtigen Militärdingen,
flugs auch gleich in der allerersten Verordnungssammlung die Zensur
von Druckschriften geregelt.
Besonders entlarvend ist der
Einleitungsgedanke, dass eine „vernünftige“ Presse nicht
beschränkt werden soll. Dann folgen in deutscher Gründlichkeit
zwanzig Paragrafen zum Schutze der Ruhe im Lande und des Adels.
![]() |
1. Jahrgang 1814 |
(51.) Serenissimi Verordnung vom 28sten März d. J., die Censur
der Druckschriften betreffend.
Von
Gottes Gnaden, Wir Friedrich Wilhelm, Herzog zu
Braunschweig-Lüneburg, auch in Schlesien Fürst zu Oels und
Bernstadt ec. ec.
fügen hiemit zu wissen:
So
wenig Wir auch gemeinet sind, eine vernünftige Preßfreiheit irgend
beschränken zu wollen, so lehrt doch die Erfahrung hinlänglich, daß
der Mißbrauch derselben gar leicht zu unangenehmen Folgen mancher
Art Gelegenheit gebe. Um daher diesen zuvorzukommen, ohne jene im
wesentlichen zu beschränken, verordnen Wir hiedurch folgendes:
§. 1.
Vom
Tage der Publication der gegenwärtigen Verordnung angerechnet, soll
keine politische Zeitung und kein Intelligenz-Blatt in Unsern Landen
gedruckt werden, wenn Wir nicht zuvor dazu Unsere Genehmigung
ertheilt, und wegen der Censur derselben das Nöthige verordnet
haben.
![]() |
Seite 238 |
§. 2.
Ausgenommen
hiervon sind allein,
1)
die öffentlichen Anzeigen, welche hieselbst erscheinen, und
2)
die Zeitung für die Landleute, welche in Wolfenbüttel herausgeben
wird, da dieser Blätter halber die nöthigen Einrichtungen bereits
bestehen.
§. 3.
Der
Censur sind unterworfen,
1)
alle Bücher und Schriften über Gegenstände der Religion und
Gottesverehrung,
2)
alle dergleichen, welche politischen Inhalts sind,
3)
alle Romane, Gedichte und Liedersammlungen,
4)
alle Kalender und Almanache,
5)
alle einzelne Lieder, Gedichte, Pamphlets und Brochuren, so wie
6)
alle zum öffentlichen Anschlage oder zum Vertheilen im Publico
bestimmten Aussage, diese mögen schriftlich oder gedruckt bekannt
werden sollen.
§. 4.
![]() |
Seite 239 |
Alle
übrigen unter der Bestimmung des vorhergehenden §phen nicht
begriffenen Bücher und Schriften dürfen ohne vorgängige Censur
gedruckt, und verkauft werden; für den Inhalt bleibt der Verfasser,
oder wenn sich dieser nicht genannt hat, der Buchdrucker
verantwortlich.
Es
darf daher innerhalb Unserer Lande kein dergleichen Buch gedruckt
werden, wenn nicht einer von beiden sich genannt hat, oder aber, wenn
aus irgend einem Grunde beide sich nicht zu nennen wünschen, der
Name und Wohnort des Verfassers oder Druckers, oder aber des
Verlegers, falls dieser die Verantwortlichkeit für beide übernehmen
will, Unserm Geheimen Raths-Collegio bestimmt angezeigt worden.
In
Ansehung der Journale entscheidet ihr Inhalt, ob sie nach
Vorstehendem der Censur zu unterwerfen sind.
§. 5.
![]() |
Seite 240 |
Die
Censur soll verwaltet werden:
1)
In Ansehung der Schriften, welche die Religion und Gottesverehrung
betreffen, von Unserm Consistorio zu Wolfenbüttel.
2)
In Ansehung der unter den Nummern 2 – 4 des vorstehenden 3ten §phen
erwähnten Schriften von, demjenigen, welchem Wir dieses Geschäft
hieselbst zu übertragen Uns vorbehalten.
3)
In Ansehung der unter Nro. 5 und 6 desselben §phen erwähnten
Gegenstände von der ordentlichen Polizei-Obrigkeit des Ortes.
§. 6.
Im
Allgemeinen haben vorerwähnte Censur-Behörden dahin zu sehen, daß
keine Bücher und Schriften in Umlauf kommen, welche der dem Regenten
und dessen befreundeten Mächten schuldigen Ehrerbietung, der
öffentlichen Ruhe, der den verschiedenen Religionen schuldigen
Achtung, oder den guten Sitten zuwider sind, oder auch bloß
persönliche Verunglimpfungen der Staatsdiener oder anderer
Landeseinwohner zum Zwecke haben, und vertrauen Wir zu ihnen, daß
sie hiernach bei Beurtheilung der ihnen vorzulegenden Schriften mit
gehöriger Ueberlegung und Gewissenhaftigkeit verfahren werden.
§. 7.
![]() |
Seite 241 |
Wäre
ein Censor zweifelhaft, ob der Abdruck eines Werkes gestattet werden
könne, oder nicht, so hat er deshalb von Unserm
Geheimen-Raths-Collegio sich Verhaltungsmaße zu erbitten.
§. 8.
Würde
ein Censor einer Schrift die Bewilligung zum Drucke ertheilen, welche
nach obstehenden Vorschriften nicht hätte genehmigt werden sollen,
so bleibt zwar der Drucker, Verleger oder Schriftsteller von
Verantwortlichkeit deshalb, insofern nicht etwa jemand
Privatgenugthuung zu fordern berechtigt wäre, frei; Wir behalten Uns
aber vor, den Censor deshalb, dem Befinden nach, zur Verantwortung zu
ziehen.
![]() |
Seite 242 |
§. 9.
Alle
der Censur unterworfene Schriften sind zeitig, und zwar, so viel die
eigentlichen Bücher betrifft, spätestens 4 Wochen; Schriften aber,
welche unter sechs gedruckte Bogen stark sind, spätestens 14 Tage
vor der zum Abdrucke bestimmten Zeit an die Censur-Behörde
einzusenden.
Sie
müssen deutlich und feierlich und ohne viele Abänderungen
geschrieben, auch paginirt seyn. Werden die Manuscripte diesem nicht
gemäß befunden, so sind selbige zur Anfertigung einer reinlichen
Abschrift zurückzugeben.
§. 10.
Die
Censur-Behörde hat selbige binnen vorstehender Frist durchzusehen,
und falls sie nichts dagegen zu erinnern findet, auf dem Titelbogen
mit dem Imprimatur zu versehen, und dabei zu bemerken, aus wie vielen
geschriebenen Seiten das Manuscript bestanden habe. Auch ist, um alle
nachherige Verwechselungen der Blätter zu vermeiden, jedes Blatt mit
der Namenschifre des Censors zu versehen.
Finden
sich einzelne Abänderungen im Manuskripte, so hat der Censor auch
diese, zum Beweise, daß er sie gesehen, am Rande mit seiner Chifre
zu bezeichnen.
§. 11.
![]() |
Seite 243 |
Findet
der Censor die Schrift an sich zulässig, jedoch daß darin einzelne
Ausdrücke oder Sätze einer Abänderung bedürfen, so hat er diese
dem Verfasser bemerkIich zu machen, und erst nach erfolgter
Abänderung, welche, wie vorsteht, vom Censor zu bezeichnen ist, die
Erlaubniß zum Drucke zu ertheilen. Würden
der Schriftsteller oder Drucker sich die vom Censor verlangten
Abänderungen nicht gefallen lassen wollen, oder auch sich durch die
versagte Erlaubniß zum Drucke einer Schrift beschwert erachten, so
bleibt ihnen eine Vorstellung dagegen bei Unserm
Geheime-Raths-Collegio offen, bei dessen Entscheidung aber hat es
sein endliches Verbleiben.
§. 12.
Die
Manuskripte der censirten Bücher sind nach dem Abdrucke zu etwaniger
Vergleichung an die Polizei-Behörde des Wohnorts des Druckers oder
Schriftstellers abzugeben, und von dieser aufzubewahren.
§. 13.
Den
Censurbehörden soll für Ihre Bemühung die schon früher bestimmt
gewesene Gebühr von 2 Ggr. für den gedruckten Bogen von dem Drucker
oder Verfasser entrichtet werden.
§. 14.
Alle
nach §. 5. der Censur der Polizeibehörde unterliegende Gegenstände
müssen, ehe sie zum Drucke, oder falls sie etwa schon gedruckt
eingebracht worden, ehe sie zum Verkauf oder zu einer sonstigen
Distribution gebracht werden, selbiger Behörde vorgelegt werden, um
nach Anleitung des §. 6. zu ermäßigen, ob der Abdruck oder die
Distribution zu gestatten sey. Die hier schriftlich, jedoch
unentgeldlich, zu ertheilende Erlaubniß hat dieselbe Wirkung, als
das Imprimatur des Censors. Ist eine solche Erlaubniß zum Verkaufe
oder sonstigen Distribution schon von der hiesigen Polizei-Direktion
oder einer andern Polizei-Behörde in Unsern Landen ertheilt worden,
so ist solche vorzuzeigen, und von der Polizei-Behörde des Ortes, wo
der fernere Vertrieb stattfinden soll zu visiren.
§. 15.
![]() |
Seite 244 |
Derjenige
Drucker oder Schriftsteller, welcher vorstehenden Vorschriften
zuwider-, Bücher oder Schriften welche der Censur unterworfen sind,
ohne vorgängig das Imprimatur erwirkt zu haben, drucken oder auch
das gebilligte Manuscript nicht an die Polizei-Behörde zur
Aufbewahrung abgeben, so wie ein jeder, welcher Gegenstände, die der
Censur der Polizei-Behörde unterworfen sind, ohne deren Erlaubniß
verkaufen oder sonst im Umlauf bringen würde, verfällt in eine
Strafe von 25 bis 100 Rthlr.; härtere Strafen, wenn der Fall deren
erheischen sollte, so wie der Privatgenugthuung gegen beleidigte
Personen vorbehältlich.
§. 16.
![]() |
Seite 245 |
Den
vorstehenden Verfügungen zuwider, zum Druck oder sonst ins Publikum
gebrachte Schriften können dem Befinden nach confiscirt werden.
§. 17.
Derjenige
Censor, welcher die ihm vorgelegten Schriften nicht binnen der §. 10.
vorgeschriebenen Frist befördern würde, bleibt dem Verleger oder
Schriftsteller für den daraus erwachsenden Schaden verantwortlich.
§. 18.
Die
Bücher-Katalogen bleiben einstweilen von der Censur befreiet. Würden
sich aber darin Bücher finden, deren Verkauf von Uns verboten
worden, oder aber welche zu denen gehören, deren im §. 6. erwähnet
worden, so haben die mit der Haltung der Auctionen beauftragten
Personen deren Verkauf nicht zuzulassen, sondern vielmehr die sich
vorfindenden Exemplare an die Polizei-Behörde des Ortes abzuliefern.
§. 19.
Ein
jedes etwa zu erlassendes Bücherverbot soll, gleich andern Gesetzen
zur Nachricht und Nachachtung öffentlich bekannt gemacht werden.
§. 20.
Sämmtliche
Unsere Unterthanen, und insbesondere sämmtliche Obrigkeiten und
Censoren, haben sich hiernach gebührend zu achten.
![]() |
Seite 246 |
Urkundlich
Unserer eigenhändigen Unterschrift und
beigedruckten Fürstl. Insiegels.
beigedruckten Fürstl. Insiegels.
Gegeben
Braunschweig, den 28sten März, 1814.
Friedrich
Wilhelm,
Herzog
zu Braunschweig - Lüneburg ec.
v.
Schmidt-Phiseldeck.
Ende.