Kolkraben gelten als
klug, aber sie haben ein Imageproblem. Früher waren sie als
Galgenvögel verschrien. Tatsächlich machen sie sich auch über tote
Tiere her, treiben sich aber auch gerne zwischen lebenden Kühen und
Kälbern herum.
Wie Dieter
Wallschläger von der Universität Potsdam und seine Mitarbeiter
herausfanden, haben es Kolkraben zwar nicht auf grünes Gras
abgesehen, doch nahrhaftere vegetarische Kost wissen sie durchaus zu
schätzen. Sie lassen sich Getreide und anderes Kraftfutter
schmecken, das eigentlich für die Kühe bestimmt ist. Die
Verhaltensforscher ertappten einzelne Raben aber auch dabei, wie sie
sich einem friedlich schlafenden Kalb näherten und es plötzlich in
den Schwanz zwickten. Bei Kälbern gibt es eine Verhaltenskette, die
so abläuft: Trinken, Schlafen, Aufstehen, ein bisschen was
fallenlassen, was verdaut worden ist, und dann wieder zur Mutter
gehen und trinken. „Dann haben wir gesehen, dass die Raben sich
dafür interessierten, was die Kälber von sich gaben.“ Attraktiv
sind diese Überreste der Verdauung deshalb, weil ganz junge Kälber
noch keine guten Futterverwerter sind. „Was hinten rauskommt bei
dem Kalb, ist also sehr schlecht verdaute Milch und auch sehr süß.
Die Raben haben also gelernt, wir haben dann immer gesagt, ‚Konfekt‘
zu erlangen, indem sie die Kälber durch das Schwanzkneifen hochjagen
und dann den Kot fressen – mit Begeisterung.“
Rabenvögel |
Den Trick, Kälber
in den Schwanz zu kneifen, um ihnen eine Portion schlecht verdaute
Milch zu entlocken, beherrschten zwar nur wenige Raben. Doch wenn sie
Erfolg hatten, flogen andere herbei und schnappten sich ihren Anteil.
„Es gab dieses Phänomen auch mehrere hundert Kilometer entfernt in
der Uckermark, also in Mecklenburg-Vorpommern. Die Raben sind
sichtlich so intelligent, dass sie das an verschiedenen Stellen
erfinden können und diese Futterquelle erschließen können. Wir
haben beobachtet, dass bestimmte Kälber bevorzugt von den Raben
belagert wurden. Zu denen sind sie immer wieder hingeflogen und haben
immer mal ein bisschen gehackt. Und da stellte sich dann heraus, dass
in 80 Prozent der Fälle Kälber von den Raben belästigt wurden, die
später eine Erkrankung aufwiesen.“ Anscheinend fällt den Raben
frühzeitig auf, wenn ein Kalb schwächelt. Und zwar lange bevor die
Landwirte etwas merken. „Dann haben wir ihnen gesagt, eigentlich
müsst ihr den Raben sogar dankbar sein, guckt mal hin, was die Raben
machen, und guckt euch dann die Kälber an, holt den Tierarzt. Dann
könnt ihr sogar einen Nutzen davon haben, wenn die Raben da sind.“
...
...
Die Größe eines
Rabenschwarms variiert je nach Nahrungsangebot. Da Kolkraben einander
individuell erkennen, ergibt sich trotzdem stets eine Rangordnung.
Den höchsten sozialen Status genießen bereits verpaarte Raben, die
jüngsten Singles haben den niedrigsten. Darüber hinaus spielt die
Anzahl der Geschwister eine wichtige Rolle, denn Hilfsbereitschaft
beruht auf familiären Bindungen.
An sozialer
Kompetenz mangelt es Raben jedenfalls nicht!
Ausriss aus
Frankfurter Allgemeine
Woche, 43/2018, Diemut Klärner
Woche, 43/2018, Diemut Klärner
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