Sonntag, 21. Oktober 2018

Schlauer Corvus Corax


Kolkraben gelten als klug, aber sie haben ein Imageproblem. Früher waren sie als Galgenvögel verschrien. Tatsächlich machen sie sich auch über tote Tiere her, treiben sich aber auch gerne zwischen lebenden Kühen und Kälbern herum.
Wie Dieter Wallschläger von der Universität Potsdam und seine Mitarbeiter herausfanden, haben es Kolkraben zwar nicht auf grünes Gras abgesehen, doch nahrhaftere vegetarische Kost wissen sie durchaus zu schätzen. Sie lassen sich Getreide und anderes Kraftfutter schmecken, das eigentlich für die Kühe bestimmt ist. Die Verhaltensforscher ertappten einzelne Raben aber auch dabei, wie sie sich einem friedlich schlafenden Kalb näherten und es plötzlich in den Schwanz zwickten. Bei Kälbern gibt es eine Verhaltenskette, die so abläuft: Trinken, Schlafen, Aufstehen, ein bisschen was fallenlassen, was verdaut worden ist, und dann wieder zur Mutter gehen und trinken. „Dann haben wir gesehen, dass die Raben sich dafür interessierten, was die Kälber von sich gaben.“ Attraktiv sind diese Überreste der Verdauung deshalb, weil ganz junge Kälber noch keine guten Futterverwerter sind. „Was hinten rauskommt bei dem Kalb, ist also sehr schlecht verdaute Milch und auch sehr süß. Die Raben haben also gelernt, wir haben dann immer gesagt, ‚Konfekt‘ zu erlangen, indem sie die Kälber durch das Schwanzkneifen hochjagen und dann den Kot fressen – mit Begeisterung.“
Rabenvögel
        Den Trick, Kälber in den Schwanz zu kneifen, um ihnen eine Portion schlecht verdaute Milch zu entlocken, beherrschten zwar nur wenige Raben. Doch wenn sie Erfolg hatten, flogen andere herbei und schnappten sich ihren Anteil. „Es gab dieses Phänomen auch mehrere hundert Kilometer entfernt in der Uckermark, also in Mecklenburg-Vorpommern. Die Raben sind sichtlich so intelligent, dass sie das an verschiedenen Stellen erfinden können und diese Futterquelle erschließen können. Wir haben beobachtet, dass bestimmte Kälber bevorzugt von den Raben belagert wurden. Zu denen sind sie immer wieder hingeflogen und haben immer mal ein bisschen gehackt. Und da stellte sich dann heraus, dass in 80 Prozent der Fälle Kälber von den Raben belästigt wurden, die später eine Erkrankung aufwiesen.“ Anscheinend fällt den Raben frühzeitig auf, wenn ein Kalb schwächelt. Und zwar lange bevor die Landwirte etwas merken. „Dann haben wir ihnen gesagt, eigentlich müsst ihr den Raben sogar dankbar sein, guckt mal hin, was die Raben machen, und guckt euch dann die Kälber an, holt den Tierarzt. Dann könnt ihr sogar einen Nutzen davon haben, wenn die Raben da sind.“
...
        Die Größe eines Rabenschwarms variiert je nach Nahrungsangebot. Da Kolkraben einander individuell erkennen, ergibt sich trotzdem stets eine Rangordnung. Den höchsten sozialen Status genießen bereits verpaarte Raben, die jüngsten Singles haben den niedrigsten. Darüber hinaus spielt die Anzahl der Geschwister eine wichtige Rolle, denn Hilfsbereitschaft beruht auf familiären Bindungen.
An sozialer Kompetenz mangelt es Raben jedenfalls nicht!

Ausriss aus Frankfurter Allgemeine
Woche, 43/2018, Diemut Klärner
-.-