Donnerstag, 14. März 2019

Umweltsünden 2019 und Raabe 1884

Raabe hatte stets den Menschen im Blickzentrum

- ebenso dessen Missverhältnis zur Genesis.

1. Mose 2: "...und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaute und bewahrte."

Nur als Beispiel für eine Mühlenatmosphäre, die "Dempewolfsche" Mühle in Scharfoldendorf. 2019, ML.
Damit begann nämlich in jeglichem neuen Herbst seit einigen Jahren das Phänomen, daß die Fische in unserm Mühlwasser ihr Mißbehagen an der Veränderung ihrer Lebensbedingungen kundzugeben anfingen. Da sie aber nichts sagten, sondern nur einzeln oder in Haufen, die silberschuppigen Bäuche aufwärts gekehrt, auf der Oberfläche des Flüßchens stumm sich herabtreiben ließen, so waren die Menschen auch in dieser Beziehung auf ihre eigenen Bemerkungen angewiesen. ... Erfreulich war's nicht  anzusehen. Aus dem lebendigen, klaren Fluß, der wie der Inbegriff alles Frischen und Reinlichen durch meine Kinder- und ersten Jugendjahre rauschte und murmelte, war ein träge schleichendes, schleimiges, weißbläuliches Etwas geworden, das wahrhaftig niemand mehr als Bild des Lebens und des Reinen dienen konnte. Schleimige Fäden hingen um die von der Flut erreichbaren Stämme des Ufergebüsches und an den zu dem Wasserspiegel herabreichenden Zweigen der Weiden. Das Schilf war vor allem übel anzusehen, und selbst die Enten, die doch in dieser Beziehung vieles vertragen können, schienen um diese Jahreszeit immer meines Vaters Gefühle in betreff ihres beiderseitigen Hauptlebenselementes zu teilen. Sie standen angeekelt um ihn herum, blickten melancholisch von ihm auf das Mühlwasser und schienen leise gackelnd wie er zu seufzen: „Und es wird von Woche zu Woche schlimmer, und von Jahr zu Jahr natürlich auch!"


Als Mehlmühle einst gegründet von den
Homburgern 1129 - 1409. Foto 2019, ML.
Da rauschte milchigtrübe, schleimige Fäden absetzend, übelduftend der kleine Fluß unbeschäftigt weiter in den ersten Christtag. 
Christtäglich, weihnachtsfestlich war mir nicht zu Sinne, und in Spannung und fast in Angst sah ich auf meinen chemisch und mikroskopisch gelehrten Freund und Exmentor, der eben die schleimschlüpfrige Masse, die er aus dem Getriebe entnommen hatte, von der Hand abspülte. ...

„Wie ich es mir gedacht habe, was das interessante Geschlecht der Algen anbetrifft, meistens kieselschalige Diatomeen. Gattungen Melosira, Encyonema, Navicula und Pleurosigma. Hier auch eine Zygnemacee. Nicht wahr, Meister, die Namen allein genügen schon, um ein Mühlrad anzuhalten?"
„Das weiß der liebe Gott", ächzte mein Vater.
„Jawohl, groß ist sein Tiergarten", meinte ruhig Adam Asche. „Was die Pilze anbetrifft, so kann ich leider nicht umhin, Ihnen mitzuteilen, daß sie den Geruch, über den Sie sich beklagen, Vater Pfister, durch ihre Angehörigkeit zu den Saprophyten, auf deutsch: Fäulnisbewohnern, vollkommen rechtfertigen. Was wollen Sie denn eigentlich, alter Schoppenwirt? Ein ewig Kommen und ein ewig Gehen! Haben die Familien Schulze, Meier und so weiter den Verkehr in Pfisters Mühle eingestellt, so haben Sie dafür die Familien der Schizomyceten und Saprolegniaceen in fröhlichster Menge, sämtlich mit der löblichen Fähigkeit, statt Kaffee in Pfisters Mühle zu kochen, aus den in Pfisters Mühlwasser vorhandenen schwefelsauren Salzen in kürzester Frist den angenehmsten Schwefelwasserstoff zu brauen. Lauter alte gute Bekannte - Septothrix, Ascococcus Billrothii, Cladothrix Cohn und hier - "
Er richtete sich auf von seinem Instrument und seinen Vergrößerungsobjekten. Er fuhr mit beiden Händen durch die Haare. Er blickte von dem Vater auf den Sohn, legte lächelnd dem Vater Pfister die Hand auf die Schulter und sprach, was ihn selber anbetraf, vollkommen befriedigt und seiner Sache gewiß: „Beggiatoa alba!"
Von einem von uns ganz speziell für Sie erst neulich zu Ihrer Beruhigung in den Ausflüssen der Zuckerfabriken entdeckt, alter Freund. Was wollen Sie? Pilze wollen auch leben, und das Lebende hat Recht oder nimmt es sich. Dieses Geschöpfe ist nun mal mit seiner Existenz auf organische Substanzen in möglichst faulenden Flüssigkeiten angewiesen, und was hat es sich um Pfisters Mühle und Kruggerechtsame zu kümmern? 
...
Das Mühlrad linke Seite ist bereits seit langem verschwunden,
das Wehr wird von der Natur nach und nach zernagt. Foto 2019, ML.
Krickerode war rechtskräftig verurteilt worden. 
Das Erkenntnis untersagt der großen Provinzfabrik bei hundert Mark Strafe für jeden Kalendertag, das Mühlwasser von Pfisters Mühle durch ihre Abwässer zu verunreinigen und dadurch einen das Maß des Erträglichen übersteigenden übeln Geruch in der Turbinenstube und den sonstigen Hausräumen zu erzeugen, sowie das Mühlenwerk mit einer den Betrieb hindernden, schleimigen, schlingpflanzenartigen Masse in gewissen Monaten des Jahres zu überziehen. 
Das ist sehr gut für andere Flußanwohner, ob sie eine Mühle haben oder nicht; aber Vater Pfister macht wenig Gebrauch mehr von dem durch Doktor Riechei für ihn erfochtenen Sieg. Das hätte früher kommen müssen - an jenem Tage schon, an welchem er sich zum erstenmal fragte, wo eigentlich sein klarer Bach - der lustige, rauschende, fröhliche Nahrungsquell seiner Väter seit Jahrhunderten - geblieben sei und wer ihm so die Fische töte und die Gäste verjage. Zu lange hat zuerst der alte Mann das widerwärtige Rätsel selber sich lösen wollen. Zu sehr hat er sich ärgern müssen innerhalb und außerhalb seines sonst so lustigen Besitzes auf dieser Erde. Der Ärger über seine Nachbarschaft, seine Knappschaft und seine Gäste hat ihm das Herz abgefressen...
Pfisters Mühle, 1884
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